Ambivalenz in der Frühschwangerschaft: Gefühlschaos pur
Schwangerschaft bedeutet neben der Vorfreude auf das Kind auch Hormon-Chaos. Gerade in der Frühschwangerschaft wird der weibliche Körper nicht nur in eine Ausnahmesituation katapultiert, sehr oft gesellt sich dazu, angesichts der bevorstehenden Veränderung und Verantwortung, auch ein Gefühl der Überforderung. Eine gewisse Ambivalenz in der Frühschwangerschaft ist durchaus normal. Woher kommt diese Achterbahn der Gefühle und wie geht man damit am bestem um?
Woher kommt die Ambivalenz in der Frühschwangerschaft?
Eine Schwangerschaft bedeutet, dass die werdende Mutter für zwei essen, sorgen und leben muss. Erschöpfung, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten sowie schwankender Appetit und wechselnde Essgewohnheiten sind oft damit verbundene Begleiterscheinungen. Dazu kommt, dass eine Mutter ihr Ungeborenes gerade in der Frühphase der Schwangerschaft noch nicht bewusst fühlt, wodurch es ihr schwerer fällt, eine tiefe emotionale Beziehung aufzubauen. In Kombination mit den aufkommenden Zweifeln und Sorgen angesichts des gravierenden Lebenseinschnittes und der damit verbundenen psychischen Belastung kommt es dann zu einem Gefühlschaos – die Folge ist Ambivalenz.
Nach psychosomatischem Verständnis stellt eine Schwangerschaft eine Schwellensituation dar, die das innere Gleichgewicht starken Anforderungen und Belastungen aussetzt. Die Veränderung des Körperbildes, die hormonelle Umstellung sowie die emotionale Labilisierung, bedingt durch die weitreichende Veränderung des Umfeldes und der eigenen bisherigen Identität und Autonomie, sind Faktoren, die nicht so einfach zu bewältigen sind.
Sorgen und Ängste als Auslöser
Paare mit einem langersehnten Kinderwunsch erleben die Schwangerschaft oft als eine Zeit des Risikos, gepaart mit Verlustängsten. Das erste Trimester ist das unsicherste, die Angst vor einer Fehlgeburt ruft in der Mutter oft depressive Verstimmungen und Ambivalenz hervor. Hat eine Frau bereits eine Fehlgeburt oder andere Komplikationen erlebt oder hat es im Bekannten- oder Verwandtenkreis tragische Vorfälle gegeben, sind das oft Auslöser für Ambivalenz in der Frühschwangerschaft. Hinzu kommen noch Ängste und Unsicherheiten hinsichtlich der Veränderung der Paarbeziehung.
Wird eine Frau zum ersten Mal Mutter, klaffen Erwartungen und Realität oft stark auseinander. Traurigkeit, Zweifel, Angst und sogar Wut sind neben Vorfreude und Aufregung normal. Dazu gesellt sich dann häufig Scham, weil werdende Mütter denken, dass sie nur reines Glücksgefühl empfinden dürften. Solche überzogenen Erwartungen sorgen für zusätzlichen Druck und Stress und verstärken die Ambivalenz weiter. Dazu kommen Unsicherheiten, ob man der künftigen Mutterrolle gewachsen ist, aber auch bezüglich kleinerer Themen wie der richtigen Ernährung.
Auch Mütter, die bereits einige Kinder haben, werden in dieser Phase von Zweifeln und Sorgen geplagt. Babys verlangen unheimlich viel Fürsorge, da kommen schon mal Befürchtungen auf, dass die anderen Kinder zu kurz kommen und Eifersüchteleien unter den Geschwistern auftreten. Dieses Dilemma verursacht Frust und Traurigkeit, manche Frauen ziehen in dieser Phase sogar eine Abtreibung in Erwähnung, getrauen sich aber nicht, offen über ihre Gefühle und Ängste zu reden. Dazu kommen weitere Faktoren, die ambivalente Gefühle in der Frühschwangerschaft verstärken können:
- Stress im Alltag
- Beziehungsprobleme
- gesundheitliche Probleme
- finanzielle Sorgen
- psychische Labilität und Vorerkrankungen
- emotionale Ausnahmezustände (z. B. ein Todesfall in der Familie, Jobverlust des Partners, etc.)
- Forderungen der Umwelt („Als Schwangere solltest du …“)
- ein Gefühl der Isolation, wenn die Schwangerschaft aus gewissen Gründen geheim gehalten wird
Wie geht man mit Ambivalenz in der Frühschwangerschaft am besten um?
Am wichtigsten ist, sich bewusst zu machen, dass dieses Gefühlskarussell völlig normal ist und dass man damit keinesfalls allein dasteht. Ein wesentlicher Schritt ist auch, diese ambivalenten Gefühle zuzulassen und sich ihrer nicht zu schämen – das bedeutet auch, sich vor überzogenen Erwartungen zu verabschieden. Ist das geschafft, sollten werdende Mütter vor allem folgende Ratschläge beherzigen:
- Reden
Bei Ambivalenz in der Frühschwangerschaft sollte man unbedingt über diese negativen Gefühle reden und sich dem Partner oder Freundinnen anvertrauen. Alleine über seine Sorgen und Zweifel zu reden, nimmt ihnen einen Teil ihrer Bedrohlichkeit. Oft stellt sich heraus, dass der Partner von ähnlichen Gefühlen geplagt wird. Der vertrauensvolle Dialog kann werdende Eltern enger zusammenschweißen. Auch der Austausch mit Frauen, die diese Erfahrungen bereits gemacht haben, kann immens hilfreich sein. Online-Foren sind ebenfalls eine gute Möglichkeit zum Austausch mit anderen werdenden Eltern. Besonders alleinstehende Frauen sollten sich auch nicht scheuen, die professionelle Hilfe eines Therapeuten oder einer Hebamme in Anspruch zu nehmen.
- Bewegung
Bewegung an der frischen Luft hilft erwiesenermaßen, depressive Verstimmungen und Ambivalenz zu lindern sowie den Kopf frei zu machen. Eine gute Möglichkeit ist, sich mit anderen werdenden Müttern zum Schwangerschaftssport zu treffen – so schlägt man Bewegung, Kontakt und Austausch mit einer Klappe.
- Teilen
Vorfreude und positive Gefühle zu teilen und der ganzen Familie die frohe Botschaft mitzuteilen, kann ebenfalls hilfreich sein, um ambivalenten Gefühlen entgegenzuwirken. So wird das Ungeborene bereits Teil der Familie und man kann auf deren Unterstützung zählen.
- Um sich selbst kümmern
In dieser Phase ist es sehr wichtig, genau darauf zu achten, was und auch wer einem guttut. Meditationen oder gezielte Verwöhnprogramme sind ein guter Weg, um die eigene Stimmung zu heben. Auch im Hinblick auf die Sozialkontakte ist jetzt Achtsamkeit geboten. Wenn die Freundin mit ständigen Aussagen wie „Du musst ja so glücklich sein“ oder „Das ist alles so wunderbar“ nervt, dann ist es wichtig das anzusprechen und auch den Mut zu haben, Kontakte, die einem jetzt nicht guttun, einzuschränken bzw. zu meiden. In manchen Fällen erfordert die veränderte Situation durch eine Schwangerschaft auch eine Umstrukturierung des sozialen Netzwerkes.
- Zuversicht
Werdende Mütter können sich damit trösten, dass die Hormone im zweiten Drittel der Schwangerschaft ausgeglichener sein werden. In diesem Zeitraum stabilisiert sich außerdem die Schwangerschaft und es geht einem automatisch besser. Manchmal hilft es einfach, die ersten zwölf Wochen abzuwarten und sich auf das sogenannte „Wohlfühltrimester“ zu freuen.
- Beratungsstellen
Ist man ungeplant schwanger geworden oder gehen mit der Schwangerschaft große finanzielle Sorgen einher, bieten entsprechende Beratungsstellen eine gute Anlaufstelle, an die man sich mit seinen Sorgen und Nöten wenden kann.
Warnsignale, die man beachten sollte
Ambivalenz im normalen Rahmen lässt sich in der Regel durch einfühlsame Unterstützung und die zuvor beschriebenen Tipps recht gut managen. Etwa 8 bis 11 Prozent der Schwangeren haben mit Anflügen von Depression zu kämpfen, meist handelt es sich dabei im normale, vorübergehende Stimmungstiefs, ausgelöst durch hormonelle und körperliche Veränderungen sowie Sorgen und Ängste. Gewisse ausgeprägte Symptome weisen jedoch oft darauf hin, dass eine professionelle Therapie erforderlich ist:
- Permanente Übelkeit, die zu einer psychischen Zermürbung führt.
- Langandauernde, schwere Depressionen.
- Panikattacken, andauernde Schlaflosigkeit und Herzrhythmusstörungen.
- Ängste, die so groß sind, dass alltägliche Aufgaben nicht mehr bewältigt werden können.
In diesen Fällen sollten Betroffene unbedingt die Hilfe eines Therapeuten oder einer Hebamme in Anspruch nehmen bzw. sich dem behandelnden Arzt anvertrauen.
Unser Fazit
Besonders die Frühphase einer Schwangerschaft wird oft von Stimmungsschwankungen, Hyper-Sensibilität, Depression oder Gereiztheit begleitet. Diese ambivalenten Gefühle können auch bei einer Wunschschwangerschaft auftreten und sind, in einem gewissen Rahmen, normal. Sie sind Teil jeder Schwangerschaft, bedeutet diese doch eine wesentliche Erweiterung der Lebenserfahrung, der persönlichen Kompetenzen sowie des eigenen Selbstwertgefühl und bringt einen Abschied von der bisherigen Identität sowie Unabhängigkeits- und Autonomieverluste mit sich.
Mit der nötigen Achtsamkeit, Unterstützung und Kommunikation lässt sich diese Phase jedoch meist ohne professionelle Hilfe bewältigen. Wichtig ist, sich in dieser Zeit gut um sich selbst zu kümmern und auf Unterstützung seitens Partner, Familie oder Freunden zählen zu können. Bei Bedarf sollte man sich keinesfalls scheuen, die Unterstützung eines Therapeuten oder einer erfahrenen Hebamme in Anspruch zu nehmen, vor allem, wenn die Gefahr besteht, dass sich depressive Verstimmungen zu einer ausgewachsenen Depression ausweiten.